Kulturhistorische und philosophische Hintergründe des arkadischen Paradiestraumes. Von der Bukolik (Dichtung über das Hirtenleben) zu Vergils poetischer Idealisierung. In der Renaissance beginnt die Malerei ideal-harmonischer Welten. Dreidimensionale Realisierungen idealer Kunstlandschaften. Philosophische Dualismen: Erscheinung und Hintergrund, Traum und Wirklichkeit. Die Sinnkrise der Moderne. Philosophie als strenge Wissenschaft. Die Verwirklichung der Philosophie, der Freiheit, der Harmonie.

2.) Der arkadische Traum vom idealisierten Hirtenleben.

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Von der Bukolischen Dichtung zu Vergils Idealisierung Arkadiens. Von Theokritos idyllischen Hirtengedichten (um 270 vor Christus) zu Vergils poetischen Idealisierungen Arkadiens (39 vor Christus). Vergil zeichnete eine im fernen (damals exotisch-fernen und kaum erreichbaren) Arkadien gelegene 'Harmonie von Natur und Mensch' als irdisches Paradies. 1502 veröffentlichte Jacopo Sannazaro die Übertragung des 'Arkadischen Gedankens' aus dem Lateinischen in das seinerzeit gesprochene Italienisch. Dies führte zu einer erheblichen Popularisierung der 'Arkadischen Idee' und nachfolgend zu einer vielfältigen Flut von idealisierenden 'Schäferdichtungen'.



'Arkadien' war in der griechischen Mythologie die Heimat des 'Pan'. Dieser galt als Gott des Waldes, der Wiesen, der Felder, der Natur, der Fruchtbarkeit und als Beschützer der Hirten. Diese fürchteten sich vor seinem Anblick, gleichzeitig verehrten sie ihn, brachten ihm Opfer dar und baten ihn um Schutz für ihre Herden.

Pan soll verschieden lange Schilfrohre zu einer Hirtenflöte zusammengefügt haben, um mit dieser eine wundervolle Musik zu intonieren.



Linkes Bild: Pan (oben Mensch, unten Ziegenbock).





Rechtes Bild: Pan unterrichtet Daphnis





Moderne Panflöten. Lässt ihr Klang - auf einer tendenziell 'entrückten' musikalischen Ebene etwas vom 'Arkadischen Traum' erahnen?
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Schon der griechische Dichter Theokrit (um 270 vor Christus) beschrieb in seinen Gedichten in einem 'unmittelbar-realistischen' Stil das einfache, ursprüngliche und unheroische Hirtenleben. Seine 'Idyllen' (griechisch: Eidyllia, wörtlich = "kleine Bildchen") spielen in der unteritalischen 'Magna Graecia' und auf der griechischen Insel: 'Kos'.



'Magna Graecia' (lateinisch für "grosses Griechenland") bezeichnet die Regionen im antiken Süditalien und Sizilien, welche ab dem 8. Jahrhundert vor Christus durch griechische Siedler kolonisiert wurden.
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Polybios (um 200 vor Christus bis etwa 120 vor Christus) stammte aus Megalopolis in Arkadien. Damit ist seine Charakterisierung der Bevölkerung Arkadiens relativ empirisch fundiert, wenn er die Arkadier als seit dem Jugendalter gesanglich geübt beschrieb und auf ihre engagiert betriebenen musikalischen Wechsel - und Wettgesänge verwies.









Links: Die griechische Präfektur Arkadien










Das von Bergen umgebene hügelige und karge wirkliche Arkadien hat nur einen kleinen Zugang zum Meer und liegt relativ abgeschlossen und schwer zugänglich in der Mitte des Peloponnes. Arkadien ist keineswegs eine lieblich-idyllische Landschaft. Das wirkliche Leben der arkadischen Hirten war kaum heiter und idyllisch, eher hart, beschwerlich und ziemlich entbehrungsreich.

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Bereits in der geschichtlichen Epoche des 'Hellenismus' (336 vor Christus bis etwa 30 vor Christus) entstand aus den sizilianisch - griechischen 'Hirtengesängen' die 'Bukolische Dichtung' (Bukolik von griechisch: boukólos = Rinderhirte), die sich auf das Leben der Rinderhirten und auf das Leben der Hirten aller Art bezog. Nicht selten waren die Gedichte als Dialoge zweier Hirten verfasst.





In der lateinischen Literatur rezipierte Vergil (Publius Vergilius Maro), der von 70 vor Christus bis 19 vor Christus lebte, die 'Bukolik'. Vergil galt als der grösste römische Dichter.

Die 'Aeneis', ein mythologisch und zugleich historisches Epos in zwölf Büchern, entstand in seinen letzten elf Lebensjahren (etwa von 30 vor Christus bis 19 vor Christus) und berichtet über die Irrfahrten der von Aeneas angeführten Trojaner bis zu ihrer Ansiedlung in Latium.





Links: Das heutige Latium liegt am gleichen Ort (ungefähr in "Kniehöhe"), wie das frühantike Latium - ist jedoch etwas grösser.









Rechts: Aeneas präsentiert Dido seinen Sohn Ascanius (Vicenca 1757).



Aeneas ist eine wichtige Figur der griechisch-römischen Mythologie. Aus einer Nebenlinie des trojanischen Herrschergeschlechtes entstammend ist Aeneas der Sohn des Anchises mit der Göttin Aphrodite (römisch = Venus). Aeneas gilt als der Stammvater der Römer.
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Vom 1. Jahrhundert nach Christus bis zum Barockzeitalter (etwa 1580 bis 1750) galt Vergils 'Aeneis' als der Massstab aller Dichtkunst.

Bereits zwanzig Jahre vor der Vollendung der 'Aeneis', im Jahre 39 vor Christus, hatte Vergil sein erstes bedeutendes Werk vollendet, die aus zehn Gedichten bestehenden 'Eklogen' (Hirtengedichte). Dieses Werk wurde in der Folgezeit auch als 'Bucolica' bezeichnet.

Mit Arkadien als Schauplatz wählte Vergil einen poetisch stilisierten Hintergrund. Zwar enthält das Werk auch die traditionellen Elemente der 'bukolischen Dichtung': das Hirtengeplänkel, ihre Trauer- und Liebeslieder und ihr Wettsingen, doch ergänzte Vergil diese traditionellen bukolischen Elemente durch Verweise auf real existierende Personen und tatsächliche Ereignisse, durch Allegorien und Symbole und er überwand den kruden Realismus der vormaligen 'Bukolischen Dichtung' zugunsten einer stark idealisierten Darstellung - sowohl der arkadischen Landschaft, als auch des ursprünglichen musisch-verklärten Hirtenlebens.

Unten: Sisyphos versucht ewig das Unmögliche - den Stein auf einen unbezwingbaren Felsen zu befördern.

Vergils Hirten sind keine realistisch existierende Wesen, eher mythische Gestalten, die ein abgehobenes und entrücktes Leben führen. In einer ewig schönen Landschaft leben sie beschaulich und harmonisch in 'zeitloser Jugendlichkeit'. Sie verkörpern die 'Sehnsucht nach einer friedlichen Welt', nach einer 'Goldenen Zeit', nach dem 'verlorenen und wiederzugewinnenden Paradies'.


In der berühmten 'vierten Ekloge' schildert Vergil die Geburt eines Kindes, die ein neues 'Goldenes Zeitalter' des Wohlstandes und Friedens einleiten sollte - der gesamten christlichen Tradition und vornehmlich im Mittelalter wurde hierin eine Ankündigung der Geburt von Jesus Christus gesehen. Aufgrund dieser 'vierten Ekloge' galt Vergil im Mittelalter (als Dichterphilosoph ausnahmsweise 'unverdächtig*) als Wegbereiter des Christentums. Vergils 'arkadische Phantasie' erhob nicht einen Anspruch auf Wirklichkeit und trat damit nicht in eine offensichtliche Konfrontation zur christlichen Heilslehre. Die nicht-präzise, oberflächliche, vorurteilsvolle Betrachtung durch die jeweiligen Inquisitoren ermöglichte, dass Vergils 'Arkadisches Motiv* in den nächsten 1500 Jahren relativ ungefährdet neben den römisch-christlichen Machtansprüchen bestehen konnte.


Rechts: Die Heilige Familie auf der Flucht nach Ägypten - Annibale Caracci (um 1604)



In den 'Eklogen' entwickelte Vergil das dichterische Motiv eines imaginären Arkadiens, indem er das Leben der Arkadier als eng mit der Natur verflochten idealisierte. So wird bei Vergil 'Arkadien' zum Schauplatz poetischer Schilderungen des 'Lebens auf dem Lande'.


Aus dem in Wirklichkeit rauhen und kargen Gebirgshochgelände wird eine 'lieblich-harmonische' und fruchtbare, urtümliche Landschaft, in der die Schäfer noch (im Gegensatz zu "zivlisatorischer Dekadenz") in 'unverdorbener Gemeinschaftlichkeit', sozusagen im 'harmonisch-paradiesischen Naturzustand', zu leben scheinen.

Vergil galt in seiner Zeit als hochgebildeter und vielbelesener Universalgelehrter, so dürfte ihm der reale Widerspruch zwischen dem wirklichen und dem idealisierten Arkadien durchaus bewusst gewesen sein - doch ging es Vergil in seiner Dichtung nicht um realistische Beschreibungen, sondern um einen 'mehrdimensionalen utopisch-dichterischen Entwurf einer bewusst idealisierten Vergangenheit', die nur in einem künftigen idealen und harmonischen 'Naturzustand', in einem künftigen 'Goldenen Zeitalter', verwirklichbar wäre.


Es gibt kaum Darstellungen des "grössten" römischen Dichters, des Erfinders der arkadischen Utopie: Vergil.


Dieses lange nach seinem Tode entstandene Mosaik aus einer römischen Villa ist eine Phantasie über sein mögliches Aussehen.

In der Mitte ist Vergil dargestellt, links die Muse der Geschichtsschreibung: Klio und rechts Melpomene: die Muse der Tragödiendichtung.


Es ist nicht unlogisch, dass in vielen Mythen die jeweiligen Paradiesvorstellungen in ferne, exotische (unerreichbare) Gegenden verlegt wurden. Auch wenn Vergil, obwohl er tatsächlich niemals dieses Land gesehen hatte, durchaus bewusst und gezielt - als dichterisches Motiv - Arkadien idealisierte, so ist es dennoch sicher kein Zufall, dass er den Schauplatz seiner Hirtengedichte im fernen, für die meisten seiner Zeitgenossen völlig unerreichbaren, Arkadien ansiedelte.


Die harmonische Welt Arkadiens Die harmonische Idylle Arkadiens (Illustration aus der spätantiken Vergil-Ausgabe: MSS Vat. lat. 3867)
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Im Hochmittelalter waren es die italienischen literarischen Humanisten, wie Francesco Petrarca (1304 bis 1374) und Giovanni Boccaccio (1313 bis 1375), welche an Vergils arkadisches Motiv anknüpften. Da ihre Eklogen neulateinisch verfasst waren, beschränkte sich (noch immer) ihre Verbreitung auf wenige Gelehrte.

Erst die in italienischer Sprache verfassten 'Schäferdichtungen', wie Jacopo Sannazaros (etwa von 1456 bis 1530) 'Arcadia', das 1504 gedruckt wurde, erreichten umfassendere Wirksamkeiten.

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Über mich

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Berlin Steglitz-Zehlendorf, Berlin, Germany
„Jeder Versuch, den Naturzwang zu brechen, indem Natur gebrochen wird, gerät nur um so tiefer in den Naturzwang hinein.“ Seit langer Zeit versuche ich, politisch-philosophisch gegen die Selbstzerstörung unserer Zivilisation zu agieren und auch täglich zum Augenblicke sagen zu können: „Verweile doch! du bist so schön!" Nur durch intensive Erfahrung sind Menschen und Realitäten fassbar, zeigte mein Austauschjahr in Kalifornien. Der immense Technikfortschritt und barbarische Politikrückschritt liessen mich (statt Mathematik, Physik, Astrophysik etc.) Philosophie, Politik, Psychologie, Amerikanistik, Kunst studieren. Anders als die Schule liebte ich die damals 'freiere' Universität Berlin. Bis heute bin ich dort leidenschaftlich tätig. Seit 76 befasse ich mich mit Computerprogrammierung, später mit MIDI, Grafikprogrammen, Spracherkennung usw. Kreierte Aufsätze, Vorträge, Musik, Kunst, Videokunst, organisierte Ausstellungen, bin mehr als 30 Jahre gesegelt, liebe Natur und Abenteuer, lebte zeitweise auf dem Lande (ökolog. Landbau) und versuche jetzt, zwei allgemeinverständliche, spannend lesbare politisch-philosophische Bücher zu schreiben: Philosophie ist "ihre Zeit in Gedanken erfaßt".